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Friedrich Schiller
Die Verschwörung des Fiesco zu Genua

Premiere: April 2005. 20 Uhr, Stadthalle/Erwin-Piscator-Haus

Fotos link |

Besetzung:
Inszenierung -
Ausstattung -

Dramaturgie -
Regieassistenz -
Soufflage -
David Gerlach
Klaus Weber (Gast)

Annelene Scherbaum
Julia Schüßler
Bernd Kruse
Die Verschwörung des Fiesco zu Genua

Darsteller:
Fiesco, Graf von Lavagna - Daniel Kuschewski | Muley Hassan - Thomas Streibig | Andreas Doria - Peter Meyer | Gianettino Doria - Gabriel Spagna | Lomellin - Matthias Steiger | Verrina - Fred Graeve a.G. | Bourgognino - Markus Klauk | Calcagno - Jürgen Helmut Keuchel | Sacco - Stefan Gille | Leonore - Barbara Schwarz | Julia - Barbara Kramer | Bertha - Julia Peter | Zenturione - Peter Meyer | Zibo - Bernd Kruse | Asserato - Matthias Steiger | Romano - Christian Holdt

Technische Leitung - Fred Bielefeldt | Beleuchtung - Susann Förster | Requisite - Margarita Belger | Maske - Grit Anders | Inspizienz - Ito Grabosch | Ton - Ronald Strauß | Garderobe - Elisabeth Müller | Schneiderei - Eva Nau, Gisela Schmidt, Claudia Siebenborn

Stück:

Revolutions?

David Gerlach

„... Meine Herren! Ich bin so frei gewesen, Sie zu einem Schauspiel bitten zu lassen. Nicht aber, Sie zu unterhalten, sondern Ihnen Rollen darin aufzutragen. Lange genug, meine Freunde, haben wir Gianettino Dorias Trotz, und die Anmaßungen des Andreas ertragen. Wenn wir Genua retten wollen, Freunde, wird keine Zeit zu verlieren sein.“ Die Tyrannei Gianettino Dorias, die Genua bedroht, ist Ausgangspunkt für die Revolutionsvorbereitungen von Graf Fiesco von Lavagna. Allerdings wird dieser bald selbst von Herrschsucht und Größenwahn ergriffen. Verrina, der Älteste seiner Verschworenen, beschließt „Fiesco muss sterben“; eine Nachricht des Herrschers Gianettino verändert jedoch sein ganzes Vorhaben. 1784 wurde das frühe Werk Schillers in Mannheim uraufgeführt. Sein erstes historisches Drama trägt im Original den Untertitel „Ein republikanisches Trauerspiel“.


Pressestimmen:

Oberhessische Presse

Tragödie wird zur grotesken Farce

Marburg. Mutig, frech und mit Witz stellt David Gerlach Schillers „Fiesco“ auf den Kopf. Der respektlose Umgang mit einem Klassiker gefiel nicht jedem der 300 Premierenbesucher am Samstag.

von Uwe Badouin Friedrich Schiller würde protestierend auf die Bühne stürmen, würde er seine „Verschwörung des Fiesco zu Genua“ in der Marburger Stadthalle sehen.

Aber Schiller ist tot, zudem steht sein Alter Ego ohnehin auf der Bühne – in Gestalt seines Titelhelden „Fiesco“: Daniel Kuschewski, seit dieser Spielzeit ein erprobter Schiller-Veteran, gibt dort in brauner Jacke und schwarzer Kniebundhose einen Zwitter aus Autor und Titelgestalt.

Gerlach hat den lange Zeit als unspielbar geltenden „Fiesco“ komplett entrümpelt und das Schillersche Pathos mit frechem Spaß beiseite gefegt. So macht er mit einer schier überbordenden Fülle an Regieeinfällen aus dem republikanischen Trauerspiel eine grotesk übersteigerte Farce.

Träumte Schiller von einem Aufstand gegen die Willkür-Herrscher seiner Zeit, unter denen auch er zu leiden hatte, so zeigt Gerlach dem Publikum adlig-verwöhnte Salon-Revolutionäre, die ihr Komplott zum Sturz des Herrschers mit einer guten Zigarre und einem Bier feiern – um am Ende verstört in die schützenden Arme eben dieses Herrschers zu laufen: Entschuldigung, es war doch alles nicht so gemeint.

Böse Jungs eben, denen Fürst Andreas Doria (Peter Meyer), für ihre Unbotmäßigkeit mal nebenbei den Hintern versohlt, wie seinem Neffen Gianettino (Gabriel Spagna). Der wiederum rächt sich für die Schmach, indem er kurzerhand einen Diener vergewaltigt.

Nicht einmal den Heldentod gönnt Gerlach seinem Fiesco. Den hatte Schiller in einer Variante vorgesehen, in einer zweiten wird Fiesco nach erfolgreichem Aufstand ein überzeugter Republikaner.

Beide sind nicht nach Gerlachs Geschmack. Der verlegt eine Fiesco-Rede aus dem zweiten Akt ans Ende und schickt seine „Verschwörer“ nach Hause: Geht Kaffee trinken, mit euch wird das nichts, lautet die Botschaft.

Die riesige Bühne in der Stadthalle ist nahezu leer. Gerlach und sein Ausstatter Klaus Weber haben einen Raum geschaffen, der fast bis zum Eisernen Vorhang reicht und sie mit einem Sofa, einem Sessel und einer Stehlampe spartanisch bestückt.

Im Vordergrund ist ein Wasserbassin eingelassen, zugleich der Hafen Genuas wie eine Badewanne mit Plastik-Entchen. Deutlich mehr Aufwand haben sie mit schönen Kostümen aus der Zeit Schillers und der Gegenwart betrieben.

Dennoch gelingen Gerlach immer wieder überraschende Bilder. Sein Trick: Romano (Christian Holdt), bei Schiller ein Maler, wird bei Gerlach zum Videokünstler. Mit seiner Kamera verfolgt er das Geschehen auf der Bühne, die Zuschauer betrachten alle Aktionen live auf einer großen Leinwand im Bühnenhintergrund.

So sehen sie auch Details ganz groß, in denen Gerlach betont: Es ist nicht echt, was ihr hier seht, es ist nur ein Spiel. Da beobachtet das Publikum wie der Mohr Hassan Muley (Thomas Streibig) Brieftaschen ausplündert, Kondome, Scheckkarten und Geld einsteckt.

Es sieht, wie Gianettino das Todesurteil für zwölf Senatoren mit seinem realen Namen Gabriel Spagna unterschreibt und erlebt sogar Szenen hinter den Kulissen, die für Theaterbesucher eigentlich tabu sind.

Während Fiesco auf der Bühne für seine Revolte wirbt, folgen die Zuschauer den Verschwörern um Verrina (Fred Graeve) in die gesperrten Katakomben der Stadthalle, wo sie Fiescos Tod beschließen.

Das spielfreudige, bis in die Nebenrollen glänzend aufgelegte Ensemble hat sichtlich Spaß an dem bilderreichen Sturz eines Klassiker-Denkmals. Herausragend spielen Daniel Kuschewski und vor allem Thomas Streibig in der Rolle des Intriganten „Mohren“, der am Ende gehen kann, weil er seine „Arbeit“ getan hat.

Auch Barbara Kramer und Gabriel Spagna spielen mitreißend: Barbara Kramer gibt Julia, die Nichte des Fürsten, als versnobte Zicke, Spagna ihren Bruder Gianettino als Mischung aus Machtmensch und verzogenem Bengel.

Probleme gibt es, wie so oft in der Stadthalle, mit der Akustik. Dennoch ist dieser „Fiesco“, an den sich kaum ein Regisseur heranwagt, ein glänzender Wurf. Wer einen Klassiker ganz klassisch sehen will, der sollte einen weiten Bogen um die Stadthalle machen.

Wer freches Theater mag, sollte sich Gerlachs „Fiesco“ nach Schiller nicht entgehen lassen. Zumal es für Jahre wohl der letzte Schiller in Marburg ist.

Weitere Aufführungen sind am Dienstag und Mittwoch, 12. und 13. April, um 20 Uhr in der Marburger Stadthalle zu sehen.


Marburg news Nicht verstanden: Schiller-Stück als Mediensatire?

Marburg * (yvg) Leinwand, Wasserbecken, Couch, Sessel und Stehlampe - diese Requisiten dienten am Samstag (9. April) als einzige Bühnendekoration bei der Premiere von Friedrich Schillers "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua". Auch die Ränge der Stadthalle waren bei der Aufführung des Hessischen Landestheaters nicht vollständig belegt. Dafür wartete man gespannt, wie Regisseur David Gerlach an das schwierige Stück herangegangen war. Fiesco (Daniel Kuschewski), der Graf von Lavagna , ist eine zwiespältige Persönlichkeit. Gianettino Doria (Gabriel Spagna), der Herrscher über Genua, wollte ihn ermorden lassen. Seitdem ist es Fiescos Ziel, den Tyrannen zu Fall zu bringen. In dieser Absicht schart er einige adlige Helfer um sich. Sein engster Verbündeter wird ausgerechnet der Mohr Dorias (Thomas Streibig), der eigentlich den Mordauftrag an ihm ausführen sollte. Diesen Mann konnte Fiesco dank finanzieller Überzeugungskraft aber auf seine Seite locken. Es folgt eine Reihe von Verstrickungen und Intrigen, die zum Sturz Dorias beitragen. Als Fiesco schließlich selbst an der Macht ist , wird seinem Verbündeten Verrina (Fred Graeve) klar: "Fiesco wird Genuas gefährlichster Tyrann werden." Sein Tod ist damit beschlossen. Was Schiller bei der Uraufführung bereits feststellen musste, hat sich auch bei der Marburger Premiere nochmals bestätigt: "Den Fiesco verstand das Publikum nicht." Einen Zugang zum Stück suchte man auch an diesem Abend vergeblich. Obwohl sich Gerlach allerhand einfallen ließ, um das Publikum mitzureißen, konnte das alles nicht zum Verständnis des Stückes beitragen. Die Leinwand, die als Bühnenhintergrund diente, zeigte live und meist in Großaufnahme, was gerade in bestimmten Abschnitten der Bühne vor sich ging. Eine allgegenwärtige Kamera verlegte damit die Aufmerksamkeit der Zuschauer vom Dialog der Darsteller auf das Bild. Gerade am Anfang war das noch sehr ungewohnt und lenkte von der Handlung ab. Die Wahrnehmung hatte sich jedoch durch die gleichzeitige Video-Funk-Übertragung tatsächlich verändert. Man sah als Theaterzuschauer, was sonst im Verborgenen geblieben wäre. Gerlach spielte dabei mit verschiedenen Ebenen. Er bezog in seiner medienkritischen Inszenierung auch das Publikum mit ein: Es geriet selbst in die Rolle des Voyeurs, als die Kamera die Darsteller bis hinter die Kulissen verfolgte. Der weitere Einsatz moderner Gerätschaften wie Staubsauger, Gameboy oder Schreibmaschine lockerte das - inhaltlich schwer zu durchdringende - Stück auf und war für das ein oder andere Schmunzeln verantwortlich. Der Applaus während des Abspannes - den gab es tatsächlich - galt dann auch weniger dem Schillerschen Stück als vielmehr der Leistung der Schauspieler. Sie waren wirklich überzeugend: allen voran beeindruckten Daniel Kuschewski als Fiesco und Thomas Streibig als Mohr. Ob der "Fiesco" als modernes Stück taugt, bleibt indes fraglich. Der Perspektivwechsel jedenfalls bot eine durchaus interessante Abwechslung zur gewohnten Theatersichtweise.


Marburger Forum

Das Hessische Landestheater Marburg

Friedrich Schiller: Die Verschwörung des Fiesco zu Genua

Premiere: Samstag, 9. April 2005, in der Stadthalle

Fiesco – so das Ende der Marburger Aufführung – steht als müder Held einer Revolution auf der Bühne. Er weiß, dass die Verschwörung gegen den korrupten Gianettino Doria gescheitert ist. Aller Aktionismus und jedes Pathos sind von ihm abgefallen. Er erzählt, unbeteiligt, resigniert, eine Fabel aus dem zweiten Akt des Texts vom kläglichen Versuch der Tiere, ein funktionierendes Gemeinwesen zu organisieren, bei dem am bitteren Ende wieder das stärkste Tier, der Löwe, die Macht über alle anderen erhält. Und Fiesco tritt ab, nicht durch die Kulissen, sondern durch die Reihen der Zuschauer, als könnte das Theaterstück nicht zu Ende geführt werden, als sei ein wirklicher Schluss unmöglich. Verrina, der alte Republikaner, eilt nach vorn und beschwört Fiesco zurückzukehren: vergeblich. Verrina gibt auf; er wird – „Ich gehe zum Andreas“ – dem Dogen von Genua die Verschwörung verraten und das Rad der Geschichte einmal mehr aufhalten: Die Zeit ist noch längst nicht reif für republikanische Freiheitsideen. Zurück auf der Bühne bleibt allein der Mohr Hassan, der heimliche Drahtzieher des Aufstands gegen Genuas Gewaltherrscher, zwielichtig, wankelmütig, keiner, auf den man sich in schwierigen Zeiten verlassen möchte.

Der fast shakespearehafte Schluss der Marburger Inszenierung durch David Gerlach führt vor, dass das „republikanische Trauerspiel“ um Fiesco eigentlich nur noch als Farce auf die Bühne gebracht werden kann, als grotesk-absurdes Spiel mit Ideen und Aktionen um Tyrannei und republikanische Freiheitsideale, das zu keinem Ende, und wäre es ein Ende aus Gewalt und Vernichtung wie im Schillerschen Text, führen kann. Die Marburger Inszenierung zeigt, wie die Verschwörung im Leeren, im Nichts zerläuft. Das Uneindeutige steht im Vordergrund, eine politische Botschaft, wie auch immer, verweigert Gerlach den Zuschauerinnen und Zuschauern in seiner drei Stunden-Version des Schiller-Stücks. Und möglicherweise wird er gerade dadurch der Verschwörung des Fiesco zu Genua in besonderer Weisegerecht.

Schillers Fiesco, 1784 in Mannheim uraufgeführt, scheint auf den ersten Blick ein durch und durch politisches Drama zu sein. Im Mittelpunkt der Handlung steht eine politische Verschwörung, ein Staatsstreich, der den Stadtstaat Genua aus der Gewalt des absolut regierenden Gianettino Doria befreien soll. Das Politische wird dadurch verstärkt, dass Schiller nicht nur den Aufstand der Adeligen gegen einen Tyrannen in Szene setzt, sondern darüber hinaus – Shakespeare hat das Motiv in seinem Drama Julius Cäsar benutzt – demonstriert, wie der Verschwörer Fiesco die „Revolution“ der Befreiung verrät und wie der Republikaner Verrina diesen Verrat an den republikanischen Idealen verhindert. Die Schillersche Verschwörung des Fiesco ist bestimmt von Zufällen und Ungereimtheiten und endet mit einem machtgierigen Helden, fast folgerichtig, in Chaos, Verrat, persönlicher Vorteilnahme und blankem Opportunismus. Die Uneindeutigkeit des Dramenendes und des Helden wie der (zweimalige) Versuch, dem Stück einen anderen Schluss zu geben, belegen, dass Schiller keine eindeutige politische Botschaft im Sinn hatte.

Von daher trifft Gerlachs offener Schluss durchaus den Kern des Stücks von Schiller. Und der Regisseur hat auch gar nicht erst versucht, aus den Ungereimtheiten und Unglaubwürdigkeiten der Schillerschen Handlung eine geradlinige Bühnengeschichte zu konstruieren. Er zeigt im ersten Teil, vielleicht etwas zu verschlungen und ausgedehnt, die korrupte Situation am Hofe zu Genua, inszeniert im zweiten Teil nach der Pause die hektische, emotionalisierte, unangemessen-übereifrige und damit letztlich zum Scheitern verurteilte Verschwörung und den wütenden Aktionismus des Fiesco und demonstriert schließlich am Ende der Aufführung, wie alles hehre Gerede von Freiheit, jede Geste, jede Aktion hohl werden, die Wirklichkeit den Akteuren zwischen den Fingern zerrinnt, weil sie die Wirklichkeit nicht begreifen wollen oder können.

Gerlach gelingen immer wieder eindrucksvolle Szenen, in der die Verschwörung nichts als sinnloser Aktionismus ist, symbolisiert zum Beispiel in den hölzernen Schwertern, die zuerst wohlgeordnet, später zerstreut, wie Kinderspielzeug, auf der Bühne herumliegen, oder sinnfällig gemacht an den fratzenhaften Gesichtern der adeligen Akteure, ihrem geckhaften Gebaren und Auftreten oder ihren lächerlichen Verschwörungsgesten. An einer Stelle werden der falsche Ton und die Gebrochenheit der Handlung besonders deutlich: Fiesco hat den Entschluss gefasst, gegen den Tyrannen Genuas vorzugehen, und monologisiert darüber in „großen“ Worten. Gleichzeitig läuft auf der Leinwand hinter ihm ein Film ab mit Bildern aus dem Aufenthaltsraum der Schauspieler, die auf ihren Auftritt warten. Der Film entlarvt Fiescos Worte als leer, demonstriert, dass sie „gespielt“ werden, ironisiert sie und macht sie zu peinlichen Sprechhülsen.

Dass eine Verschwörung in der Tat nicht mehr gelingen kann, verstärkt Gerlach durch die Figuren seiner Inszenierung. Mit keinem der Adeligen, Verrina (Fred Graeve) eingeschlossen, kann eine Verschwörung gelingen. Peter Meyer, Markus Klauk, Jürgen Helmut Keuchel, Stefan Gille, Bernd Kruse und Matthias Steiger stellen gesichtslose, charakterlose, auf Vergnügen und die eigenen Vorteile bedachte Höflinge dar, mit denen einfach „kein Staat“ zu machen ist. – Barbara Schwarz und Julia Meyer haben imposante Auftritte als Eleonore, Fiescos Gattin, und Bertha, Verrinas Tochter. – Gabriel Spagna ist der gewissenlose Herzog von Genua, der nicht davor zurückschreckt, Morde anzuordnen oder sich seiner Schwester Julia (Barbara Kramer) anzüglich zu nähern. Matthias Steiger ist sein duckmäuserischer, skrupelloser Vertrauter und Gehilfe. – Thomas Streibig verkörpert den windigen Mohren Hassan. Wie immer ist er sehr präsent auf der Bühne und macht den Mohren durch sein intensives Spiel zu einer zweiten Hauptfigur. – Daniel Kuschewski, gekleidet in einem Schiller-Kostüm, beeindruckt als Fiesco. Ihm gelingt die Rolle des vergnügungssüchtigen Adeligen am Hof zu Genua genau so mühelos wie die des übereifrigen Revolutionärs. Durch sein differenziertes Spiel hält er die gelegentlich auseinanderdriftenden Szenen zusammen und ist der wirkliche Mittelpunkt des Stücks. Mit dieser Rolle gehört er zu den Schauspielern in vorderster Reihe des Ensembles des Hessischen Landestheaters.

Der eigentliche Clou der Inszenierung aber ist, dass das Geschehen auf der Bühne gleichzeitig von einer Kamera – Christian Holdt ist der agile, überall präsente Kameramann – auf eine Leinwand an der Bühnenhinterwand übertragen wird. Der Zuschauer erlebt nicht nur eine Theateraufführung über den Verschwörer Fiesco, sondern sieht auch den Film Die Verschwörung des Fiesco zu Genua, beide durchaus verschieden, hier immer die ganze offene Bühne (wohnzimmermäßig eingerichtet von Klaus Weber), dort die Totale manchmal, aber auch Ausschnitte der Bühnenhandlung, Details oder Großaufnahmen von Gesichtern. Der Zuschauer hat beide Medien vor Augen, kann sich nicht einfach für das eine oder andere entscheiden, beobachtet, ob er will oder nicht, die Akteure auf der Bühne und auf der Leinwand.

Dieser Inszenierungseinfall bewirkt eine Intensivierung vieler Szenen, vor allem solcher, in denen die Gesichtszüge des Agierenden hinter oder neben ihm auf der Leinwand in übergroßer Form auftauchen und so dem Bühnenauftritt eine suggestive mediale Doppelung und Verstärkung geben. Gleichzeitig werden die Szenen in ironischer Weise gebrochen, so dass die Zuschauer vom Geschehen auf der Bühne „weggerückt“ werden. Die Verschwörung des Fiesco, so erlebt das Publikum, ist auch oder vor allem ein Historienfilm, gehört zu einer virtuellen Wirklichkeit, ja kann eigentlich nur noch als solche rezipiert werden. Diese Welt medialer Vermittlung aber sperrt sich gegen differenziertere Aussagen und Darstellungen. Es ist daher folgerichtig, dass Schillers Helden eher als Karikaturen, sein Pathos als Farce, seine Ideen als Leerhülsen vorgeführt werden.

Und so ist Gerlachs Inszenierung der Verschwörung in Genua als Farce mit grotesken Zügen auch ein Hinweis darauf, wie Schillers dramatische Texte heute in Bühnenspiele umgesetzt werden können. Den Schiller der großen Gesten und erhabenen, emotionalisierten Sprache, dessen Figuren gerade im Scheitern beeindrucken und sich vor den Zuschauern zu einer beispielhaften Größe erheben, der den Konflikt zwischen Wirklichkeit und Ideen auf die Bühne bringt und den Zuschauer zwingt, diesen Konflikt „auszuhalten“ und sich ihm zu stellen, diesen Schiller des „großen“ Dramas kann ein Regisseur im Gedenkjahr 2005 nicht mehr ohne weiteres, so scheint es, auf der Bühne lebendig werden lassen. Gerlach inszeniert einen Schiller mit Brüchen, ohne Lösungen, bei dem Lächerliches und Ernsthaftes aufeinanderstoßen, ohne dass das eine durch das andere aufgehoben würde. Vielleicht ist das eine mögliche Haltung, sich dem Dichterfürsten aus Weimar zu nähern. – Die Inszenierung in der Stadthalle lädt zum Nachdenken darüber und zu Diskussionen ein.

Herbert Fuchs


Marburger Neue Zeitung

Schiller-Premiere des Hessischen Landestheaters

Ausverkauf politischer Ideale 11.04.2005

Marburg. (kno). Am vergangenen Samstag feierte das Hessische Landestheater Marburg Premiere mit Friedrich Schillers republikanischem Trauerspiel "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua". Nach "Die Räuber" war es Schillers zweites Stück - und ein Werk, das vom zeitgenössischen Publikum nicht gerade mit offenem Geist aufgenommen wurde. "Republikanische Freiheit ist hierzulande ein Schall ohne Bedeutung", schrieb Schiller an einen Bekannten. Ob dem Marburger Publikum die Inszenierung von David Gerlach oder die Idee republikanischer Freiheit nun mehr gefiel: Es klatschte lange und gutierten die Leistungen von Daniel Kuschewski (Fiesco) und Thomas Streibig als kriminellem Mohr besonders.

Mit spartanischem Bühnenbild und eindrucksvoller "Kamaraunterstützung" setzte das Hessische Landestheater Marburg Schillers Stück "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" in Szene.

Fast drei Stunden dauerte die Inszenierung und wurde doch nicht lang. Eine winzige und im heutigen Technikboom nicht wirklich innovative Idee machte doch einen entscheidenden Unterschied. Während der Aufführung auf der mit Sofa, Sessel und kleinem Schwimmbecken spartanisch ausgestatteten Stadthallenbühne flitzte Schauspieler Christian Holdt mit einer Videokamera herum.

Eine Leinwand am hinteren Ende der Spielstätte eröffnete den Zuschauern ungewohnte Einsichten - besonders als Holdt das verdutzte Publikum mit in die Gänge hinter der Bühne nahm, in den Aufenthaltsraum der Schauspieler, über Treppen und durch Türen, bis sich schließlich eine Klappe im Bühnenboden öffnete und die hinter der Bühne begonnene Szene wieder auf der Bühne landete.

Die Inszenierung gewinnt durch diesen kleinen Kniff ein ganzes Arsenal an neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Schauspieler stehen mit dem Rücken zum Publikum oder verstecken sich hinter Möbeln, und der Kontakt zum Zuschauer bleibt doch gewahrt.

Brüche im Geschehen

Groß- und Detailaufnahmen bieten eine zusätzliche Wahrnehmungsebene. Mehrere Handlungen laufen gleichzeitig ab und bleiben trotzdem verständlich.

Wie schon in "Das Fest" in der vergangenen Spielzeit arbeitete Gerlach Brüche in das Bühnengeschehen ein. Das Gespielte versucht, nicht durchgängig szenische Realität abzubilden, sondern verweist immer wieder auf den Vorführcharakter des Gezeigten. So sprechen sich die Schauspieler mitunter mit realen Vornamen an oder konterkarieren ihren Charakter durch Dialekt oder absurde Handlungen.

Der Aufstand endet dann in der Marburger Fassung auch nicht wie bei Schiller mit Fiescos Tod, nachdem der Tyrann getötet und Fiesco neuer Herzog ist, sondern ganz ernüchternd mit dem Ende des Aufstands. Fiesco entschuldigt sich beim Publikum, dass es nur ein Schauspiel war, kein wirklicher Aufstand, und geht ab. Der Traum von Freiheit und dem Ende politischer Willkür endet mit einer Fabel zur besten aller möglichen Regierungsformen - und bleibt aus frustrierter Einsicht doch beim Alten.

Herauszuheben ist Barbara Kramers affektierte Gräfin, Jürgen Helmut Keuchels beispielhaftes Flirten mit der Kamera und Markus Klauks geckenhafter Lebemann. Respekteinflößend und majestätisch ist Peter Meyer als alternder Herzog. Gabriel Spagna gibt den tyrannischen Neffen des Herzogs als böswilliges, verwöhntes Ekelpaket zum Weglaufen, toll.

Weitere Vorstellungen finden am Dienstag und Mittwoch, 12. und 13. April, statt. Im Mai steht "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" am Freitag, 6., auf dem Programm.

Alle Aufführungen beginnen um 20 Uhr in der Marburger Stadthalle. Karten können unter (0 64 21) 2 56 08 reserviert werden.



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